„Tanzen ist, was wir sind und was wir lieben“

 

Seit Marius-Andrei Balan & Khrystyna Moshenska ihre gemeinsame Tanzsportkarriere begannen, gehörten sie sogleich zu den schillerndsten und besten Latein-Paaren der Welt. Seit Februar 2021 dominieren sie die internationale Konkurrenz. Sie gewannen alle Turniere, wurden zweimal Europameister, zweimal Weltmeister und holten sich alle vier Grand-Slam-Titel. Aber wie genau tickt das DTV-Ausnahmepaar eigentlich? Wie fanden der gebürtige Rumäne und die gebürtige Ukrainerin den Weg zum Tanzsport und zueinander? Und woher nehmen sie ihre schier unerschöpfliche Energie und Inspiration? Lest selbst!

 

Interview aus dem TANZSPIEGEL des Deutschen Tanzsportverbands (DTV)
Text: Sandra Schumacher
Bilder: privat und Reinhard Egli

 

 

Marius und Khrystyna, ihr habt in ganz jungen Jahren mit dem Tanzen angefangen. Könnt ihr euch an eure erste Stunde erinnern?

Marius: Ich war damals fünf Jahre alt, und weil ich eine Rechts-Links-Schwäche hatte, konnte ich die beiden Seiten nicht auseinanderhalten. Als die Trainer gesagt haben, wir sollen nach rechts gehen, hat die ganze Klasse das gemacht, nur ich ging nach links. Deswegen bin ich erst zwei Jahre später wieder hingegangen und habe richtig mit dem Tanzen angefangen. Als Kind habe ich sehr gut gelernt, wenn ich die Bewegungen abgucken konnte. Das hat mir zu Beginn meiner tänzerischen Karriere sehr geholfen.

Khrystyna: Ich war vier Jahre alt, aber an die erste Stunde erinnere ich mich nicht. Ich habe damals einen Monat lang gleichzeitig Tanzen und Gymnastik ausprobiert. Ich weiß noch, dass wir Kinder bei der Gymnastik alle im Spagat auf dem Boden saßen, und ich wollte mich mit den anderen unterhalten. Unsere Trainer*innen waren aber sehr streng, und eine von ihnen hat mich von hinten auf den Boden gedrückt. Das war der Moment, in dem ich entschieden habe, dass ich lieber tanzen möchte.

Habt ihr euch auch in anderen Sportarten versucht?

Marius: Ich habe Karate, Boxen, Schwimmen, Tennis und Tischtennis ausprobiert. Fußball habe ich auch gerne gespielt, aber meine Mutter wollte nicht, dass ich in einen Verein gehe, weil mein Vater sich dabei einmal schwer verletzt hat. Darin wäre ich sicher auch gut gewesen, aber so ist es das Tanzen geworden. Bei den anderen Sportarten waren die Bedingungen auch zu schlecht. In den Schwimmbecken hatten wir in den 1990er Jahren in Rumänien keine oder nur sehr veraltete Filter, deswegen kamen die Kinder häufig mit Hautausschlägen vom Training nach Hause. Beim Tennis gab es noch keine Indoor-Felder und draußen konnte man nur zwischen Mai und September spielen, weil der Bodenbelag bei Nässe sofort rutschig wurde. Beim Boxen gab es keine Handschuhe für Kinder, und meine waren so groß, dass ich den Gegner gar nicht richtig sehen konnte, wenn ich die Hände oben hatte. Beim Tanzen waren die Voraussetzungen besser, und es hat mir Spaß gemacht.

Khrystyna: Ich war zwei- oder dreimal mit meinem Bruder beim Karate und habe mit elf oder zwölf Jahren ein paar Schwimmstunden genommen. Dabei wäre ich aber wieder eine Anfängerin gewesen und hätte alles neu lernen müssen. Beim Tanzen war ich in dem Alter ja schon gut, deshalb bin ich dabeigeblieben und habe das Schwimmen sein gelassen.

 

Weltmeisterschaft Latein 2022

 

 

Wann wusstet ihr, dass ihr euer Leben dem Tanzsport widmen möchtet?

Marius: Mit zwölf Jahren habe ich schon gesagt, dass ich einmal Weltmeister werde. Jedes Mal, wenn ich in eine neue Alters- oder Leistungsgruppe aufgestiegen bin, habe ich mich am Ende so sehr steigern können, dass ich irgendwann der Beste war. Das Üben hat mir Spaß gemacht und weil ich

dabei so viel Spaß hatte, war ich bereit, mehr zu trainieren als die anderen. Das hat sich wiederum in den Ergebnissen widergespiegelt und ich hatte tolle Erfolgserlebnisse.

Khrystyna: Ich war elf Jahre alt, als ich festgestellt habe, dass ich wirklich etwas erreichen kann, wenn ich mich anstrenge und hart arbeite. In der Ukraine hatten wir drei Monate Sommerferien. Weil ich als Kind immer ein bisschen rund war, wollte ich mich in dieser Zeit in Form bringen, also habe ich auf meine Ernährung geachtet und viel Sport gemacht. Vor den Ferien hatte ich keinen festen Tanzpartner, danach wollten plötzlich alle mit mir tanzen. Auch der Junge, den ich schon oft gefragt hatte, der mir aber jedes Mal einen Korb gegeben hat. Als er dann endlich doch wollte, wollte ich ihn aber nicht mehr (lacht). Trotzdem habe ich so gelernt, dass Disziplin zu Erfolg führt.

Um eure sportlichen Karrieren voranzubringen, seid ihr sehr früh von zu Hause weggezogen. Wie war das für euch?

Marius: Ich bin mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen, mit zwei Koffern in der Hand. Die Sprache hatte ich zwar in der Schule gelernt, aber das Niveau dürfte in etwa so hoch gewesen sein, wie wenn jemand aus Deutschland jetzt drei Wochen nach Polen fährt – man schnappt zwar ein bisschen was auf, aber richtig verständigen kann man sich nicht. Zuerst habe ich bei meiner damaligen Tanzpartnerin und ihrer Familie gewohnt, was mir ein bisschen unangenehm war, weil ich den Leuten keine Umstände machen wollte. Aber zu diesem Zeitpunkt durfte ich nicht alleine wohnen, weil ich noch minderjährig war. Als ich 18 wurde, habe ich ein Zimmer in einem Studentenwohnheim bekommen, das neun Quadratmeter groß war und keine Küche hatte. Für mich war das überhaupt kein Problem, denn ich war sowieso von morgens bis abends beim Training.

Khrystyna: Ich bin gleich nach meinem Schulabschluss mit 16 Jahren nach Russland gezogen, um dort mit meinem damaligen Traumpartner zu tanzen. Vorher hatte ich mit meiner Familie in einem Zwei-Zimmer-Appartement gelebt, hatte mir mit meinem Bruder sogar ein Zimmer geteilt. Als ich in Russland ankam, war ich plötzlich auf mich allein gestellt. Das war schon komisch für mich. Im ersten Jahr hatte ich noch nicht einmal eine Waschmaschine. Selbst meine Bettwäsche habe ich mit der Hand gewaschen, und das ist nicht gerade einfach. Eine Zeit lang habe ich sogar darauf verzichtet, die Heizung anzumachen, weil ich sparen musste. Als ich später nach Italien umgezogen bin, hatte ich es dann aber wärmer (lacht).

 

Europameisterschaft Latein 2021

 

Habt ihr das Gefühl, ihr hättet damals etwas für den Tanzsport geopfert?

Marius: Wir haben nichts geopfert. Gar nichts. Wir hatten Spaß an dem, was wir taten und wir sind diesen Weg gerne gegangen. Natürlich war es nicht immer leicht, aber wir hatten ein klares Ziel vor Augen und haben alles dafür getan, um es zu erreichen. Tanzen ist, was wir sind und was wir lieben, und wir wollten genau dieses Leben führen.

Wie habt ihr zueinander gefunden?

Marius: Wir haben uns auf der Tanzfläche kennengelernt. Khrystyna ist damals mit Nino (Aniello Langella, Anm. d. Red.) für Italien gestartet, ich mit Nina Bezzubova für Deutschland. Die beiden waren damals die Top-Stars, wir gehörten eher zu den Neulingen. Ab 2012 standen wir aber in fast jedem internationalen Finale gleichzeitig auf dem Parkett.

Sie sind nicht nur auf dem Parkett,
sondern auch privat gemeinsam
unterwegs: Khrystyna und Marius
entdecken Venedig.

Khrystyna: Nach einem Turnier haben wir uns einmal am Flughafen getroffen. Nino und ich waren zwar noch Tanzpartner, aber privat nicht mehr zusammen. Das hatten wir aber niemandem gesagt, da es sich negativ auf unsere Ergebnisse hätte auswirken können. Ich war jedenfalls total müde und habe vor mich hingedöst, während Nino und Marius, die miteinander befreundet sind, unterwegs waren. Irgendwann kamen sie zu mir, aber ich war noch total verschlafen und habe Marius wohl nicht so richtig begrüßt. Nino hat mir das später gesagt, und meinte, es wäre besser, wenn ich mich entschuldigen würde. Also habe ich Marius bei Facebook angeschrieben.

Marius: Wir haben ein paar Nachrichten hin und her geschickt, haben ein bisschen Smalltalk gehalten und dann war die Sache für mich erledigt. Zwei Tage später hat sie mich aber noch einmal angeschrieben.

Khrystyna: Ich habe extra so lange gewartet, am liebsten hätte ich mich direkt wieder gemeldet (lacht).

Marius: Ich habe sie sofort gefragt, was sie eigentlich von mir will, weil ich dachte, dass die beiden noch zusammen wären. Dann hat sie mir von der Trennung erzählt und es hat sich etwas zwischen uns entwickelt. Das war aber lange bevor wir beschlossen haben, zusammen zu tanzen. Ich hätte mich nie getraut, sie das zu fragen. Die Initiative musste von ihr ausgehen, weil Nino einfach so gut war und ich auf keinen Fall wollte, dass sie auf ihren sportlichen Erfolg verzichtet, weil sie Gefühle für mich hat. Ich habe sie sogar noch eine Zeit lang ermutigt, weiter mit ihm zu tanzen, obwohl sie schon ihre Zweifel hatte. Als sie mich aber schließlich gefragt hat, haben wir beide unseren bisherigen Tanzpartnern gesagt, dass die WM 2014, bei der Nino und Khrystyna zum dritten Mal Weltmeister geworden sind, das letzte gemeinsame Turnier ist. Im Januar 2015 haben Khrystyna und ich beim Goldstadtpokal in Pforzheim dann unser erstes gemeinsames Turnier getanzt und gewonnen.

 

Lassen uns an ihren Gefühlen teilhaben.

Was schätzt ihr aneinander als Tanzpartner und als Menschen?

Khrystyna: Marius als Tanzpartner ist unglaublich fleißig und hat ganz klare Ideen davon, was wir im Training machen und wie wir es gestalten. Als Mensch ist er die einzige Person, mit der ich über alles reden kann. Bei ihm muss ich mich nicht verstellen und kann ganz ich selbst sein.

Marius: Tänzerisch ist Khrystyna ein absolutes Genie und eine fantastische Entertainerin. Sowohl beim Tanzen als auch im Leben macht sie keine halben Sachen, sie verpflichtet sich den Dingen, die sie tut, zu einhundert Prozent. Sie ist loyal, glaubt an unsere Sache, arbeitet hart und ihr innerer Antrieb ist genauso stark wie meiner. Wir beide leben in unseren Köpfen ständig mit Schuldgefühlen, denn selbst wenn wir so lange trainieren würden, dass unsere Muskeln und unser Gehirn schon beinahe platzen, hätten wir trotzdem das Gefühl, dass es nicht genug war.

 

 

 

 

 

Habt ihr auf der Fläche einen speziellen Stil?

Khrystyna: Während eines Turniers bin ich immer ich. Ich bin positiv, aktiv und emotional. Aber was den Stil angeht, verändere ich mich gerne. Das kann sowohl optisch sein, beispielsweise ein neues Outfit oder eine neue Frisur, als auch tänzerisch, da ich mich während des Tanzens von der Musik inspirieren lasse und auf das reagiere, was vor Ort passiert.

Marius: Bei Tänzerinnen und Tänzern wird gerne nach Persönlichkeit gesucht, allerdings besteht dabei die Gefahr, dass man in Klischees abgleitet und die Lernbereitschaft verliert. Jeder Tanz, jede Musik, jedes Turnier ist anders, deswegen muss man auch bereit sein, sich zu verändern. Dazu braucht es eine innere Stärke, die es ermöglicht, jeder Zeit eine neue äußere Form anzunehmen. Bruce Lee vergleicht es mit Wasser, das an sich gestalt- und formlos ist, aber jede Gestalt und Form, in die es gegossen wird, annehmen kann. Einen solchen Zustand erreicht man nur durch Bildung und hartes Training.

 

Leidenschaftlich kreativ!

 

Kannst du das näher erklären?

Marius: Nehmen wir als Beispiel einen jungen Tänzer, der sehr viel und sehr gut dreht. Wenn seine Trainer nun sagen, das sei seine Persönlichkeit und ihn deswegen immer wieder drehen lassen, ohne ihn zusätzlich in anderen Bereichen zu schulen, beispielsweise in der Elastizität oder im Einsatz von

Körpergegengewicht, kommt er in der Jugend vielleicht noch gut durch. Spätestens in der Hauptgruppe trifft er dann aber auf Tiere wie mich: Ich kann drehen, ich kann stretchen, ich kann schnell, ich kann langsam. Ich bin ein Allrounder in allen Bereichen. Für den Nachwuchstänzer wird es dann schwer, sich zu behaupten und viele, die keine umfassende Ausbildung gehabt haben und sich nicht weiterbilden, verlieren nach dem Wechsel die Lust am Tanzen, weil die Erfolge ausbleiben. Deswegen sind Lernbereitschaft und Bildung so wichtig, wenn man es im Tanzsport ganz nach vorne schaffen möchte.

 

Sport, Show und Spaß – drei Dinge,
die sich für Khrystyna und Marius
prima ergänzen.

Wer oder was inspiriert euch?

Marius: Michael Jackson! Er konnte poppen (Popping, Anm. d. Red.), er konnte drehen, er konnte kicken und er war ein großartiger Entertainer. Er hatte wirklich alles in der Schublade, das hat mich fasziniert. Als ich ein Kind war, gab es in Rumänien jedes Jahr zu seinem Geburtstag eine 24-Stunden-Sondersendung über ihn. Eines Tages hat meine Mama mich um drei Uhr nachts erwischt, wie ich vor dem Fernseher versucht habe, seine Moves nachzumachen. Sie hat mich nicht ins Bett geschickt, sondern mich dabei beobachtet und beschlossen, dass ich mal zum Tanzen gehen sollte. Das war wahrscheinlich meine erste Berührung mit diesem Sport.

Khrystyna: Meine Inspirationsquellen ändern sich häufig, momentan bin ich ein großer Fan von Beyoncé, weil auch sie eine Allrounderin ist, die tanzen, singen und entertainen kann. Eine Zeit lang war es aber auch Pink. Ich wollte damals unbedingt so tolle Bauchmuskeln haben wie sie, deshalb habe ich jeden Tag 200 Crunches gemacht. Mittlerweile mag ich auch Lady Gaga sehr gerne. Mit ihr konnte ich bis zu ihrem Film „A Star is born“ gar nichts anfangen, ihre Musik in diesem Film finde ich aber richtig gut.

Was möchtet ihr mit eurem Tanzen erreichen?

Marius: Wir möchten einerseits den Nachwuchs inspirieren, andererseits aber auch zeigen, dass es für sportliche Erfolge eine Professionalisierung braucht. Wir arbeiten beispielsweise mit Ärzten, Physiotherapeuten und Ernährungsberatern zusammen, gehen zur Massage und in die Sauna, machen Fitness, Stretching und Eisbäder. Es sind viele kleine Dinge, die unser Leistungslevel um wenige Prozentpunkte erhöhen, am Ende aber den Unterschied ausmachen und dafür sorgen, dass unsere Körper die sportlichen Belastungen aushalten. Seit ich 2015 nach dem GOC-Finale mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sehe ich das Training und die Wettkampfvorbereitung mit anderen Augen. Lange Zeit war nicht klar, ob ich je wieder Sport machen kann – für mich war das eine totale Katastrophe! Glücklicherweise war es kein Herzinfarkt, der Auslöser für die Symptome war eine Glutenunverträglichkeit, die zur Folge hatte, dass ich während des Turniers zu wenig Wasser im Körper hatte. Seitdem achte ich sehr genau darauf, dass mein Körper in Topform ist.

Wo wird euer Weg euch in den kommenden Jahren hinführen?

Marius: Tanzen ist unser Leben, daher möchten wir dem Sport erhalten bleiben und unsere Liebe und unser Wissen weitervermitteln.

Khrystyna: Und wir würden gerne noch die Goldmedaille bei den World Games gewinnen, dann hätten wir alles abgeräumt, was man abräumen kann.

Welche drei Worte beschreiben euch am besten?

Khrystyna: Lebensfreude, Energie, Positiv.

Marius: Loyal, Gehirngesteuert, Funny.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für euch.

 

Das Interview führte Sandra Schumacher

 

 

 

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