Das neue Wertungssystem in der Praxis: Grand Slam Antwerpen
Seit Beginn dieses Jahres wird das neue Wertungs-System (absolut statt relativ) bei allen Grand-Slams eingesetzt. Den Anfang machte das Grand Slam Turnier Latein in Antwerpen. Zum Wertungs-Gericht gehörte auch Florencio Garcia Lopéz aus Deutschland. Am Morgen danach trafen wir ihn im Hotel und konnten mit ihm ein sehr interessantes Gespräch führen:
dancefloor: Herr Garcia, haben Sie bereits mehrere Mal mit dem neuen Wertungs-System gewertet oder war dies das erste Mal?
Florencio Garcia Lopéz: Es war für mich das erste Mal, ich muss sagen, dass ich sehr gespannt war. Ich hatte mich aber mit der Art des Wertens im Vorfeld beschäftigt. Da ich als Trainer mit diesen Strukturen arbeite, war das für mich nicht das Problem die Wertungen zu gewichten.
df: Welche Ausbildung mussten Sie absolvieren?
FGL: Uns wurde amTag des Turniers das System nochmals detailliert vorgestellt und die Vorgehensweise für die Abgabe der Wertung erläutert.
df: Was waren Ihre Erkenntnisse/Eindrücke?
FGL: Wenn man nicht die einzelne Sparten, sowie ihre Untergruppen vor Augen hat, kann das durchaus zu Problemen führen.
Für mich persönlich war das eine tolle Sache, da ich sowieso ein wenig als Trainer schaue wenn ich Werte. Dadurch, dass die Paare alleine auf der Fläche sind, hat man die Möglichkeit die Leistung der Paare genauer zu gewichten.
df: Als Zuschauer wäre für uns eine persönliche Präsentation aller Wertungsrichter sehr hilfreich und interessant gewesen. Sehr gerne hätten wir die Zahlen auch Gesichtern und Persönlichkeiten zugeordnet. Einerseits wäre dies eine klare Wertschätzung gegenüber den Wertungsrichtern, anderseits auch eine öffentliche „Übertragung der persönlichen Verantwortung“. War im Ablauf keine Zeit dazu vorhanden um diese Themen zu gewichten?
FGL: Nach der Auffassung des WDSF sollten die Wertungsrichter nicht mehr im Vordergrund stehen, sondern die Paare.
df: Während der Veranstaltung haben wir bewusst das Wertungsrichter-Gremium beobachtet. Sie haben einen sehr gelassenen, ruhigen Eindruck hinterlassen. Meistens waren Sie als einer der ersten fertig. Wir stellen uns vor, dass es eine sehr grosse Herausforderung ist, in 75 Sekunden fünf Wertungs-Kriterien abzuarbeiten.
Was sind Ihre Erkenntnisse?
FGL: Die Herausforderung ist enorm. Wertungsrichter bewerten bei einem solchen Turnier die besten Paare, die es zur Zeit auf der Welt gibt. Die Verantwortung der Wertungsrichter ist sehr groß. Wertungsrichter bestimmen mit ihrer Wertung über Werdegang und Entwicklung eines Paares.
Jeder Wertungsrichter hat die Zeit in den vorgehenden Runden sich ein Bild zu machen von den Paaren.
In Finale hat der Wertungsrichter die Möglichkeit sich sehr ausführlich mit dem Paar zu beschäftigen. Ich persönlich bin der Ansicht, dass es eine Wertschätzung für die Paare ist. In einem normalen Finale stehen einem Wertungsrichter maximal 10-15 Sekunden zur Verfügung um Paare untereinander zu vergleichen.
df: Wie beurteilen Sie die „Zielgenauigkeit“ des neuen Systems im Vergleich zum herkömmlichen System? Ist allenfalls für die Wertungsrichter eine Hilfe nach einem Raster zu arbeiten, statt sich einen „Gesamteindruck“ zu machen?
FGL: Ich bin der Ansicht, dass wir damit einer gerechteren Wertung näher kommen, zumindest im Finale.
Ich habe die Möglichkeit verschiedene Bereiche oder Aktionen, auch negative, in die Wertung aufzunehmen, wie z.B.. zu einfache Choreographie, zu lange getrenntes Tanzen, Partnering, Stürze usw.
df: Eine sehr interessante Bemerkung! Das bisherige System hatte zur Grundlage, dass die Stärken oder das Positive bewertet werden soll. Oft genug haben sich die Wertungsrichter auch damit begnügt, nur eine Aussage zu machen, „gefällt mir“ oder gefallt mir nicht“. Nun also hat der der Wertungsrichter erstmals die Möglichkeit Abzüge zBsp. für zu geringes Partnering, zu einseitiger Choreographie zu machen. Die Differenzierung der verschiedenen Bewertungskriterien lässt damit wesentlich mehr Einfuss auf die erwünschte Idealvorstellung zu.
Für uns Zuschauer waren nach jedem Paar die Detail-Wertungen der fünf Wertungs-Kriterien jeweils nur sehr kurz sichtbar. Viel zu schnell wurde jeweils sogleich die Zwischen-Rangliste eingeblendet. Auch den erfahrenen Zuschauern/Beobachtern blieben dadurch nur sehr wenige Gelegenheiten zur Analyse der Resultate. Der Turnierverlauf verlor dadurch an Spannung, da das Publikum nicht in den Wettkampf mit einbezogen wurde. Auch der Präsentator trug wenig zur Spannung bei, da auch er auf die Resultate nicht einging.
Hat man als Wertungsrichter diese Umstände mitbekommen?
FGL: Nein, als Wertungsrichter ist man mit den Geschehnissen auf der Fläche beschäftigt und konzentriert sich auf das nächste Paar um nichts zu versäumen, da die Zeitspanne zwischen den Paaren nicht allzu groß ist.
df: Können Sie als Wertungsrichter und Beteiligter Optimierungsvorschläge einbringen?
FGL: Ja bestimmt, das muss jedoch jeder Wertungsrichter für sich selber entscheiden.
Ich habe am darauffolgenden Tag mit Marco Sietas über einige Dinge gesprochen, die große Beachtung fanden.
df: Der Turnierleiter gibt jeweils vor dem Turnier, je nach Stärkeklasse einen „Wertungsbereich“ (zBsp. 6.5 – 10.0) vor. Welcher Bereich wurde an diesem Grand-Slam freigegeben?
FGL: Der Bereich wurde bei 7,5-10 festgelegt.
Ich persönlich hätte mir gewünscht, einen größeren Bereich zu Verfügung zu haben. Nicht alle Paare sind in allen Bereichen gleich stark, was zu berücksichtigen wäre. Dadurch würde die Qualität in den einzelnen Bereichen deutlicher werden.
df: In einem der fünf Wertungs-Kriterien wird der Partner-Bezug (Partnering) bewertet. Dies ist eines der Kriterien, die auch vom Publikum sehr schnell erfasst und verglichen werden können. Trotzdem war augenfällig, dass Paare mit offensichtlich sehr viel geringerem Partner-Bezug nur geringfügig schlechter bewertet wurden. Hatten die Wertungsrichter keinen Mut, ein Paar, das fast 2/3 des Jives lediglich in einer „Side by Side“-Position tanzt, zu tadeln? Oder wirken sich Abzüge im neuen System zu wenig aus?
FGL: Wie gesagt, das System steht am Anfang und es wird sicherlich notwendig sein bestimmte Justierungen noch vorzunehmen. Die Abzüge wirken sich jetzt im Moment noch zuwenig oder gar nicht aus.
df: Zwei regelmässige Finalisten-Paare waren im Finale nicht vertreten. Die Dänen Zanibellato/Abildtrup traten nicht an, die Italiener Langella/Moshenska mussten in der 24er-Runde verletzt aufgeben.
Im Finale waren dadurch fünf russische Paare und ein moldavisches Paar vertreten. Im Semifinale waren drei weitere russische Paare dabei. Zur Zeit sind Andrey Zaytsev – Anna Kuzminskaya allen weit voraus. Doch dahinter kommen wie erwähnt zahlreiche weitere russische in einer ausserordentlichen Leistungsdichte.
Was zeichnet diese Paare besonders aus?
FGL: Das was die Paare auszeichnet ist der systematische Aufbau über die Kinder-, Junioren- und Jugend-Klasse. Tägliches Training, auch schon Krafttraining, und das immer unter Kontrolle, verbunden mit der großen Konkurrenz im eigenen Land oder Club. Sehr große Turniere, in dem die jungen Paare lernen sich durchzusetzen .
df: Welche Paare gefallen Ihnen besonders?
FGL: Alle die, welche das Tanzen wie Kunst aussehen lassen, die eigene Persönlichkeit haben oder auf dem Weg sind, diese zu entwickeln. Das sind Paare wie z.B. Kuzminskaya/Zaytsev; Abildtrup/Zanibellato sowie Moshenska/Langella. Jedes dieser Paare einen sehr persönlichen Tanzstil.
df: Welche Trends sind erkennbar?
FGL: Weiter, größer, höher…. Sicherlich gehört zur heutigen Zeit, dass alles viel sportlicher ist als noch vor ein paar Jahren.
Tanzen hat in erster Linie etwas mit Musik zu tun, das sollte nicht vergessen werden. Zuerst war die Musik da, dann kam der Tanz dazu und nicht umgekehrt.. XXXXXX
df: Ja, dieser „Fortschritt“ ist sowohl im Latein wie auch im Standard offensichtlich. Ähnlich grosse Entwicklungsschritte waren jedoch auch in den 60er und 80er-Jahren zu beobachten und auch da immer begleitet mit Grundsatzdiskussionen. Das neue Wertungssystem bietet nun über die Gewichtung der verschiedenen Bewertungskriterien auch zukünftige Trends zu unterstützen oder vermeintliche Fehlentwicklungen einzuschränken.
Sehen Sie auch Gefahren oder „Fehlentwicklungen“?
FGL: Ja, dass wir den Grundaufbau vernachlässigen könnten, zu Gunsten von schnellen Erfolgen.
Können braucht Zeit: Kuzminskaya/Zaytsev tanzen seit der Jugend oder früher zusammen. Das sind jetzt über 10 Jahre. So lange braucht ein Paar bis an die Spitze!
df: Bezüglich körperlichen Voraussetzungen hat sich sowohl der Latein- und sogar noch mehr der Standard-Bereich ganz wesentlich verändert. Ohne ganz gezielte und intensive Erarbeitung von körperlichen, physischen Fähigkeiten (Fitness, Beweglichkeit, Kraft, Schnelligkeit usw.) kann fast kein Paar mehr in die ersten 48 Ränge der Weltrangliste gelangen. Wie weit hat sich der deutsche Tanzsport auf diese Herausforderung angepasst ?
FGL: Ohne körperliche Fitness es es sicherlich nicht mehr möglich entsprechende Leistungen zu erbringen . Heutzutage haben viele Paare ein Trainigsprogramm für Kondition und Muskelaufbau.
df: In einigen Ländern werden die Paare durch die Integration in „Academies“ umfassend betreut und auch persönlich „gecoacht“. Die Ausbildungs-Strategie, wann und in welcher Reihenfolge erarbeite ich welche Themen oder Fähigkeiten, ist für einen zielgerichteten Aufbau von grosser Bedeutung. Ein persönlicher Coach unterrichtet nicht mehr alle Themen selber, sondern zieht weitere Spezialisten mit definierten Ausbildungsaufträgen hinzu. Ist dieses Umdenken, ich muss/kann als Trainer nicht alles abdecken, auch in Deutschland erkennbar?
FGL: Dieser Punkt wurde schon vor langer Zeit erkannt, dass Spitzenpaare nicht nur von einem Trainer gemacht werden.
Es gab keine Academies oder Teams, jedoch hatte jedes Spitzenpaar immer eine handvoll oder mehr Trainer, mit denen gearbeitet wurde und ein Heimtrainer, der die Abstimmung übernahm.
Herr Garcia, herzlichen Dank für Ihre sehr interessanten Ausführungen!
Weitere Bilder in der DancepiX-Galerie
Die Resultate:
Rank | Couple | Country | |||
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1. | Andrey Zaytsev – Anna Kuzminskaya | Russian Federation | |||
2. | Gabriele Goffredo – Anna Matus | Moldavia | |||
3. | Timur Imametdinov – Ekaterina Nikolaeva | Russian Federation | |||
4. | Andrey Gusev – Elizaveta Cherevichnaya | Russian Federation | |||
5. | Vladimir Karpov – Mariya Tzaptashvilli | Russian Federation | |||
6. | Andrey Kiselev – Anastasia Selivanova | Russian Federation |