Bericht WM Professional 1960

21./22. Mai 1960: Weltmeisterschaft Professional (alles), Berlin

tanz-Illustrierte Juni 1960

Berlin – die Krönung zehnjähriger Arbeit im allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband
Als der Berliner Tanzlehrer Richard Keller am 21. Mai 1960 in der Deutschlandhalle die grösste Turnierveranstaltung in der Geschichte des Tanzsports der Welt eröffnete und dem Ersten Vorsitzenden des ADTV Erich Beuss, Oldenburg, die Turnierleitung übergab, hat gewiss keiner der in diese einzigartige Veranstaltung eingespannten Tanzlehrer an jenen kaum 10 Jahre zurückliegenden Tag gedacht – an den 30. Mai 1950. Damals wurde durch die Delegierten der „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tanzlehrer-Verbände“ der „Allgemeine Deutsche Tanzlehrer-Verband – ADTV“ gegründet, und zwar mit der Massgabe, dass im Laufe des Jahres 1950 die Mitglieder der Einzelverbände über die Zugehörigkeit zu ADTV abstimmen sollte.

Die überwältigende Mehrheit entschied sich für den ADTV. Unter jenen, die dennoch abseits blieben, war eine ganze Reihe strikter Gegner des Amateur- wie des Berufstanzsports.

Niemand will bestreiten, dass man auch ein hervorragender Tanzlehrer sein kann, wenn man weder selbst Turniere tanzt, noch Tanzsportler trainiert. Wer wollte jedoch leugnen, dass der Tanzsport heute eine grossartige Repräsentation des Gesellschaftstanzes darstellt und aus dem sportlichen wie gesellschaftlichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Wesentliche Voraussetzungen dazu wurden im September 1950 in Edinburg durch die Teilnahme von ADTV-Delegierten an der Gründungsversammlung des International Council of Ballroom-Dancing, ICBD, geschaffen; den nicht zuletzt auf Grund der alten internationalen Beziehungen seiner im Tanzturnierwesen arbeitenden Tanzlehrer gewann Deutschland die durch den Krieg abgerissenen Verbindungen wieder, um schliesslich erneut zur Mitarbeit an europäischen Aufgaben herangezogen zu werden. Der ICBD ermöglichte schliesslich durch die Verbreitung einheitlicher Trainings- und Wertungsgrundlagen auf allen Kontinenten die Voraussetzungen für einen echten sportlichen Wettbewerb und für die ersten Weltmeisterschaften 1959 in London und 1960 in Berlin.

 

Auch der Tanzstundenjugend nützlich
Wenn heute ein junger Deutscher in Paris, London oder Kapstadt eine Dame zum Tanz auffordert und im Foxtrott wie im Tango, im Wiener Walzer wie in der Rumba mit ihr in jedem Tanzschritt harmoniert, so ist diese Verständigung durch den Tanz nicht zuletzt der Arbeit des ICBD zu verdanken; denn die Choreographien des Tanzsports haben den Allgemeintanz in starkem Masse beeinflusst. So beginnt heute der Anfänger in der Tanzstunde in Port Elizabeth wie in Lyon, Düsseldorf, Hamburg Esslingen oder Düren mit denselben Schritten, die der Weltmeister von 1960 im Laufe der Jahre bis zur Hohen Schule des Gesellschaftstanzes ausgefeilt hat – und Tanzturnier auf Tanzturnier wird zum Anschauungsunterricht für Millionen in aller Welt.

 

Berlin / Das grossartigste Turnier in der Geschichte des Tanzsports
Weltmeisterschaft 1960 für Berufstanzpaare

Sonderbericht von Hans-Georg Schnitzer

Es gibt Sekunden in der Weltgeschichte, die durchweht sind von beklemmender Spannung, Augenblicke, in denen wenige Worte zum Schicksal für Millionen werden. Es sind in den seltensten Fällen Augenblicke des Glücksgefühls.

Eine Weltmeisterschaft der Berufstanzpaare ist zweifellos nur eine Episode in der Ereignisfülle unserer Tage. Sie verläuft zum Glück ausserhalb des politischen Geschehens. Und doch kann man, wenn man den Bericht der Weltmeisterschaft 1960 schreibt, nicht daran vorbeigehen, dass dieses Treffen der weltbesten Professionalpaare wenige Tage nach der Pariser Gipfelkonferenz der Grossmächte stattfand. Sicherlich hat ein jeder an den Schatten gedacht, der in diesen Tagen über Berlin hinwehte, obwohl kein „Offizieller“ davon sprach. Die grössere Geschichte blieb zwischen den Zeilen, selbst in den Grussworten des Schirmherrn der Weltmeisterschaft, des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Willi Brandt, der im Programmheft u.a. schrieb: „Dass diese Veranstaltung in Berlin stattfinden kann, zeugt abermals von den wahren Absichten der Menschen in dieser Stadt, die verbunden mit der ganzen Welt ihrer Arbeit in Ruhe nachgehen wollen und wohl auch ein wenig Entspannung und Freude verdient haben.“

In den Strassen Berlins flutete das Leben emsig wie eh und je, als Frau Senator Ella Kay vom Senat für Jugend und Sport die Turnierpaare sowie die Funktionäre der Weltmeisterschaft im Rahmen eines Empfangs auf dem Dachgarten des Hotels Hilton am Vormittag des 21. Mai im Namen der Stadt Berlin willkommen hiess. Und am Abend strömte Berlin wie eh und je an einem so schönen Frühsommerabend durch die bunten Lichterfluten der Strassen, um das Wochenende zu geniessen, den vielen Zielen der Grossstadt entgegen. In der Deutschlandhalle aber verstummten zehntausend Berliner mit einem Gongschlag, als von den 84 bereitstehenden Scheinwerfern ein einziger in das Dunkel stach und Berlins jüngstes Tanzpaar, von zarten Klängen eines Walzers getragen, fast unwirklich schemenhaft, über die schier unendliche Parkettfläche schwebte. Auf einem kleinen Blatt für die Millionen draussen – aber auf einem grossen Blatt für die Freunde des Gesellschaftstanzes hatte ein Glanzstück in der Geschichte des Tanzsports begonnen: die Weltmeisterschaft 1960, die zweite Berufsmeisterschaft nach den heutigen internationalen Regeln des Tanzsports.

Nun flammten die gelben Lichter stehender Lüstergruppen rings um das Orchester auf. Zartgliedrige Kronleuchter – so grazil, dass man meinte, sie schwebten unbefestigt unter dem Firmament der Halle – wurden sichtbar; ein helles Lichtbündel huschte über den Schiedsrichtertisch und erfasste den Mann, der vor Monaten schon die Fäden zur Durchführung dieses grossartigen Tanzturniers in die Hand genommen hat; den Berliner Tanzlehrer Richard Keller. Seine Begrüssungsansprache, in der er die Paare aus aller Welt, die Stadtkommandanten der Alliierten, die Vertreter des Senats, des Diplomatischen Korps, der internationalen Presse, von Rundfunk und Fernsehen besonders willkommen hiess, war kurz wie das Aufleuchten der nun strahlende Helle verbreitenden Lichtbatterien.

Dann hat der Tanz allein das Feld, 800 qm Parkettfläche.

Eine Wiener-Walzer-Formation, von Paaren des Berliner Amateur-Klubs Blau-Weiss-Silber dargebracht, symbolisiert die schwebende Leichtigkeit, die der Wiener Walzer als Geschenk Europas den Tanzenden in aller Welt gegeben hat. Kaum ist die anmutige Schau beendet, beginnt der Einmarsch der Juniorenpaare zum Mannschafts-Länderkampf Dänemark – Norwegen, in Gegenüberstellung mit den Berliner Junioren, die ihren Freunden aus den nordischen Ländern Freundschaftsgeschenke überreichen.

Gewiss hat das Fernsehen, das sich am Sonntagabend erst spät in die Endrunde der Meisterschaft einschaltet, diesen „Vorreigen“ der Jugend notwendig gemacht – aber der Feuereifer dieser jüngsten aktiven Tanzsportler unseres Kontinents zeigt Bilder von solcher Anmut, solcher Freude, solchem Können, ja auch von Können, dass man für Minuten vergessen kann, eines viele grösseren Turniers wegen gekommen zu sein; nicht zuletzt, weil dieses kleine Mannschaftsturnier (mit Fred v. Schlesinger, Linz, als einzigem Wertungsrichter, Endergebnis 33 zu 44 für Dänemark) wirklich wie am Schnürchen abläuft. Es ist 20.39 Uhr, als das Ergebnis bekannt gegeben wird. Laut Zeitplan war dafür 20.40 Uhr vorgesehen. So beginnt pünktlich auf die Minute mit einem den Olympiafanfaren ähnlichen Orchestersignal die Weltmeisterschaft.

Erich Beuss, Oldenburg, seit 10 Jahren Erster Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrer-Verbands, Turnierleiter in ungezählten Meisterschafen, grossen und kleinen Turnieren, begrüsst, ergriffen von der imposanten Schönheit eines wahrhaft olympischen Bildes, mit bewegter Stimme die Paare aus aller Welt. Er betont, dass Berlin in den Herzen der Tanzsportler seit jeher einen besonderen Platz eingenommen hat, und stellt den Wettstreit unter den Wahlspruch „Freundschaft durch Tanz“: „Möge dieses Wort von Turnier zu Turnier weiterwirken als Beitrag zum Verständnis von Volk zu Volk dieser Erde!“ In warmherzigen Worten dankt Erich Beuss dem Tanzlehrerpaar Richard Keller und Frau sowie dem ADTV-Turnieramtsleiter Herbert Heinrici für die schier überwältigende Vorarbeit, der dieses einmalige Erlebnis der Weltmeisterschaft in Berlin zu verdanken ist.

Turnier der Spannung und der Überraschungen
Und nun begann ein Turnier von knisternder Spannung. Wenn sich auch nach den Vorrunden des Standardturniers erwies, dass die Chancen auf einen der ersten Plätze mit der Entfernung von London abnahmen, so war doch der Allround-Weltmeister von 1959, anstatt mit Brenda Winslade, seiner bisherigen Partnerin, mit seiner Chefassistentin Eileen Rutherford gekommen. Damit wuchsen die Chancen der Südafrikaner sowie der Holländer Voeten-Assmann, die bei den letzten Turnieren schon immer nahe beisammengelegen hatten. Ellison hatte kaum eine Woche Zeit zum Weltmeisterschafts-Training gehabt, und seit Düsseldorf, wo wir Irvines einen knappen Monat vorher sahen, hatten die Südafrikaner die Zeit genutzt. Sie waren in unglaublicher Form; ihr strahlendes, oft leicht draufgängerisches und damit hin und wieder in den klassischen englischen Tänzen zu hartes Tanzen war gebändigter, weicher – war geschmeidig und dabei von nahezu übermütiger Vitalität. Ganz anders der bis an die Grenzen eines zu weich schmeichelnden Gleitens gehenden Ellison, der in seiner neuen Partnerin nicht die Unterstützung fand, die er einst in Brenda Winslade besass, sichtlich durch das Dilemma des Partnerwechsels gehandicapt. Wieder ein völlig anderer Typ der grazile Feinstilistiker Voeten! Wohl waren Krehns in sehr guter Form, zeigten Ronnaux ihre ganze tänzerische Leichtfüssigkeit und das Paar Trautz – Schmid eine überraschende Harmonie – dass man in dieser Spitzengruppe der ersten Sechs jedoch immer wieder nach den möglichen Siegern suchte, ist nur zu verständlich, zumal man ja in der Vorrunde „alle Augen voll zu tun“ gehabt hatte, um noch etwas von den Besonderheiten in den Auffassungen der US-Amerikaner, Kanadier, Pakistaner und Finnen mitzubekommen, die man in Deutschland zum ersten Male sah.

Das lateinamerikanische Turnier, von Carl-Ernst Riebeling, einen der gesuchtesten Dirigenten internationaler Meisterschafen, geleitet, bezog seine Spannung vor allem aus der Frage, ob die Wertungsrichter dem Pariser Charme oder dem südafrikanischen Feuerwerk den Vorzug geben würden. Zwischen den nächsten vier Paaren hätte man ebenso Trautz – Schmid wie Sandners und diese beiden noch eher als Ellison und Doormes auf dem dritten Platz vermutet; aber es zeigen sich ja bei den lateinamerikanischen Turnieren stets viele stärkere Abweichungen als bei den Standardtänzen. Wie unendlich weit die Auffassungen dagegen in den verschiedenen Ländern auseinandergehen, wurde beim Vergleich der nachfolgenden Mitbewerber noch augenfälliger; erwies es sich doch, dass in anderen Erdteilen lateinamerikanisch nahezu völlig frei gestaltet wird. Das kanadische Paar Valvasory – Parry war übrigens das einzige beider Turniere, das hier mit dem 11. Platz in die Gruppe der zwölf platzierten Paare einzudringen vermochte.

Während der Atempausen für die Turnierpaare und das rechnende Schiedsgericht gab es keine Minute ohne Leben auf dem Parkett. Das Publikum war ja nur zum Zuschauen und nicht zum Ball gekommen. Zu seiner Unterhaltung entfaltete sich die ganze Skala der Möglichkeiten, Menschen durch den Tanz glücklich zu machen. Da kamen Paare in historischen Kostümen mit den dazu passenden, alten Benzinkutschen in die Halle gefahren, um die Tänze der Jahrhundertwende vorzuführen; Formationstänze wechselten mit Schautänzen einzelner Paare ab. Die dänischen Junioren zeigten einen Cakewalk, die norwegischen eine Tanzpantomimen-Formation, die Berliner Junioren die Tänze der Inflationszeit und die Tanzküken Cha-Cha-Cha. Als Allerneustes boten Berliner Teenager schliesslich den gerade jenseits des grossen Wassers aktuellen Tanz der amerikanischen Teenager: Madison! Und den Boogie brachten die jungen Norweger in Formation. (Auf einzelne dieser Darbietungen werden wir im nächsten Heft näher eingehen.). Nebenbei gesagt: Kann es einen schöneren Beweis für die harmonische Zusammenarbeit zwischen Amateuren und Tanzlehrern geben, als dass Amateurpaare aus drei Ländern mit Freude daran mitwirken, eine Weltmeisterschaft der Professionals zu umrahmen?! Sie gaben schweigend und strahlend unbewusst eine Antwort an jene Splittergeister, die ihren Alleingang so gern mit dem scheinheiligen Argument der angeblichen Profihörigkeit der erfolgreicheren Amateur-Verbände entschuldigen.

Die historischen Tänze wurden von Paaren des Clubs Blau-Weiss-Silber e.V., die Cha-Cha-Cha und Dixieland-Formation von den Tanzküken, bzw. der Junioren-Abteilung des Grün-Gold-Clubs Berlin dargeboten. Das Junioren-Mannschaftsturnier Dänemark gegen Norwegen war vom Deutschen Amateur-Tanzsport-Verbandes e.V. ausgerichtet. Hier war Klaus Koch, der 1. Vorsitzende des CBA, Turnierleiter. Er dankte den Eltern der norwegischen und der dänischen Mädchen und Jungen dafür, dass sie ihre Kinder nach Berlin hatten fahren lassen – und den Lehrern und Schulverwaltungen dafür, dass sie ihnen schulfrei gegeben hatten. Die Tanzlehrer Egon Halse, Kopenhagen, und Wilfried Christiansen, die mit den Junioren gekommen waren, bekundeten in kurzen Ansprachen die Verbundenheit mit Berlin. Unter herzlichem Beifall überreichte der norwegische Mannschaftsführer an Frau Senator Ella Kay einen Scheck über DM. 1000.- als Spende norwegischer Eltern für elternlose Berliner Kinder.

Kombinations-Ergebnis
1. Irvine, Südafrikanische Union
2. Ronnaux, Frankreich
3. Ellison / Rutherford, England
4. Krehn, Deutschland
5. Voeten, Holland
6. Trauts / Schmid, Deutschland

Standardtänze
1. Irvine, Südafrikanische Union
2. Voeten, Holland
3. Krehn, Deutschland
4. Ellison / Rutherford, England
5. Ronnaux, Frankreich
6. Trauts / Schmid, Deutschland
7. Hulley / Edwards, England
8. Doorme, Belgien
9. Sandner, Österreich
10. Opitz / Toetz, Deutschland
11. Münich, Deutschland
12. Mangelsdorff, Deutschland

Lateinamerikanische Tänze
1. Ronnaux, Frankreich
2. Irvine, Südafrikanische Union
3. Sandner, Österreich
4. Doorme, Belgien
5. Ellison / Rutherford, England
6. Trauts / Schmid, Deutschland
7. Krehn, Deutschland
8. Voeten, Holland
9. Hulley / Edwards, England
10. Münich, Deutschland
11. Valvasori / Porry, Kanada
12. Kaiser, Schweiz

 

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