Pitt & Tiara sagen Tschüss
Bericht: Martin Zinser
Die Geschwister Pitt-Alexander und Tiara-Sophia Wibawa vom TDC Frauenfeld geben ihren Rücktritt vom Turniertanzsport. Gut zwei Wochen vor den Schweizer Latein-Meisterschaften in Baden kommt diese Botschaft der Titelverteidiger überraschend. «Es liess sich einfach nicht mehr alles unter einen Hut bringen», fassen sie ihren Entscheid zusammen. «Wir müssen schweren Herzens akzeptieren, dass wir Tanzsport, so wie wir ihn verstehen, Beruf, Studium und Privatleben nicht mehr sinnvoll kombinieren können.»
Dieser Prozess habe lange gedauert, sei aber in den letzten Wochen immer mehr gereift, nun schmerze es. Der Tanzsport war für beide «das halbe Leben». Ob sie in Baden als Zuschauer dabei sein wollen oder können, müssten sie sich noch gut überlegen – die Emotionen sind spürbar… vielleicht braucht es noch etwas mehr Zeit, um diese Nähe akzeptieren zu können.
Die sportlich grössten Erfolge erreichten die beiden Rheintaler Geschwister 2021, als sie nach vier Ehrenplätzen erstmals die Goldmedaille an den Schweizer Latein-Meisterschaften gewinnen konnten. Dieser späte November-Abend in Wallisellen bleibt ihnen für immer und ewig im Kopf und im Herzen, weil sie dort bestens vorbereitet waren, deshalb völlig unbelastet tanzen durften und sich vom Publikum getragen fühlten.
Schon eine Woche später profitierten sie von diesem Schwung und dieser neuen Energie, erreichten bei ihrer vierten WM-Teilnahme erstmals die zweite Runde und verliessen Pforzheim schliesslich mit einem 40. Schlussrang (siehe Video).
Die Lust nach mehr internationalen Wettkämpfen und höheren Zielen wurde dadurch immer grösser, selbst eine Fokussierung auf den Tanzsport war in den Köpfen, sollte sich ein grosser Sponsor finden lassen. Doch es kam leider anders. Die Vorbereitung auf das World Games Qualifikationsturnier Ende Januar 2022 lief hervorragend. «Wir hatten eine Superphase», blickt Pitt zurück, der eines Abends in seinem Fitnesstraining eine zusätzliche Einheit anhängte. Weil er sich deswegen für den nächsten Termin verspätete, musste er zum Bus-Terminal rennen… und stürzte. Im linken Sprunggelenk waren zwei Bänder durchgerissen und zwei Sehnen gespalten. Die World Games waren kein Thema mehr; erst nach vier Monaten stieg Pitt motiviert wieder ins Training ein.
Doch dann bemerkten er und Tiara gemeinsam, dass eine zufriedenstellende Jahresplanung schier unmöglich sei – frustrierend, wer hohe sportliche Ziele hat, davon aber nicht leben kann. Tiara ist Jus-Studentin an der Uni Zürich, Pitt arbeitet bei einem international tätigen Schweizer Hörgeräte-Hersteller, wo er oftmals sehr kurzfristig ins Ausland «abkommandiert» wird. Trainings, Camps, Turniere mit dem verantwortungsvollen Job, einem Studium zu kombinieren, wurde zur Quadratur des Kreises. Zudem wollten die Wibawa-Geschwister in diesem Sommer auch ihren Vater in Bali besuchen. «Die Familie ist uns wichtig», lassen sie verlauten. Und so sind sie in diesen Tagen – aufgrund ihres Rücktritts – nach zweieinhalb Jahren erstmals wieder bei ihrem Vater in den Ferien und lassen sich dessen Heimat zeigen.
Die Geschwister wollen weiterhin täglich miteinander tanzen, die Freude am Tanzen wird immer bleiben. Wettkämpfe schliessen sie aber ebenso aus, wie ein Partnerwechsel. Vor ihrer gemeinsamen Karriere, die sie im April 2015 gestartet hatten, waren beide mit je zwei ausländischen Partnern unterwegs. Pitt mit einer Kasachin und einer Slovakin, die junge Tiara mit zwei Dänen. «Nein – wir werden auch in Zukunft nur zusammen tanzen», blicken sie voraus, «und würden unsere Leidenschaft künftig gerne punktuell in Shows ausleben.»
Ein Rückblick
Text: Reini Egli
Wenn Eltern einen Tanzkurs besuchen…
Pitt & Tiara könne auf eine lange, aktive Turnierkarriere zurückblicken. Die Initialzündung für ihr Tanzbegeisterung scheint der Tanzkurs-Besuch ihrer Eltern gewesen zu sein. Danach war auch für sie klar: «…das wollen wir auch!»
Beide begannen jeweils schon in der Schülerkategorie. Pit und Tiara fielen bereits dort durch ihr Talent auf.
Es war eine Zeit, wo wir noch über eine breitere Basis von Schüler- und Jugendpaaren ausweisen konnten. Viele Tänzer und Tänzerinnen, die heute unsere Tanzsportscene prägen, wie Pitt, Tiara, Davide Corrodi, Alessia Gigli, David Büchel, Flavia Landolfi (und sicher einige mehr…) stammen aus diesen Jahren.
Im gleichen Zeitraum habe ich versucht, nach meinem aktiven Tanzen, meine Tanzerfahrung für die Tanzsport-Fotografie zu nutzen. So kann ich sowohl auf Bilder der Anfänge vieler Paare und Anfänge meiner Fotografie zurückblicken. Zum Glück haben sich «meine» Paare und meine Fotografie über die Jahre noch klar gesteigert… 😉
Pitt ist mir von Beginn weg durch sein unbändige Tanzfreude und später zu seiner 10-Tanz-Zeit durch wirblige Actions aufgefallen. Doch bereits damals zeichnete sich sein besonderes Gefühl für Achsen, Linien und Bilder ab.
Tiara hat sich vom scheuen, aber nicht weniger talentierten, kleinen Mädchen zur selbstbewussten, sehr eleganten Latein-Dame entwickelt. Bereits in jungen Jahren wusste sie genau, was sie wollte und hat ihren Weg mit grosser Beharrlichkeit und Selbständigkeit verfolgt. So ist sie lange Zeit schon im Kindesalter jeweils allein nach Dänemark zu ihrem Tanzpartner zum Training gereist. Auch ihre Ferien hat sie für Trainingscamps und intensive Trainingswochen im Norden genutzt.
Als dann später der Grössenunterschied durch das unterschiedliche Alter wegfiel, konnten sie sich endlich zusammentun. Gemeinsam haben sie ihre Ballet- und Modern-Erfahrungen genutzt und einen eigenen, persönlichen Tanzstil entwickelt. Die grosse Harmonie im Paar, die besonderen Figuren und grosse Ausstrahlung haben sie sehr schnell zu den Publikumslieblingen gemacht. So hätte man ihnen schon viele Jahre zuvor den Latein-Titel sehr gerne gegönnt. Sie nahmen uns Zuschauer mit und liessen uns mitfühlen.
Auch beim Aufschwung in der Frauenfelder Tanzscene waren sie ein wesentlicher Faktor. Ihre bescheidene Art und ihre Herzlichkeit machte sie sehr nahbar und zu einem grossen Vorbild für die vielen Kinderpaare.
Im Herbst 2021 durften sie sich endlich die Goldmedaille umhängen. Auch ihr Auftritt an der Weltmeisterschaft kurz danach in Pforzheim war für mich ein absolutes Highlight. Sie tanzten damals in der Vorrunde direkt neben den späteren Weltmeistern Marius & Khrystyna und trotzdem wurden sie wahrgenommen und erhielten die notwendigen Marks.
Der Schweizer Tanzsport verliert mit Pitt & Tiara ein äusserst beliebtes und kompetitives Latein-Paar. Stilvoll, elegant und nahbar.
Ich werde euch auf der Tanzfläche sehr vermissen!