Francesco & Deborah holen sich in einem spektakulären Finale den Weltmeister-Titel!
In Rimini wurde die spannendste Weltmeisterschaft Standard seit Jahren ausgetragen. Die Italiener Francesco Galuppo & Debora Pacini holten sich in einem sehr hart umkämpften Finale vor ihrem begeisterten Heimpublikum ihren ersten Weltmeistertitel. Auch die Plätze 4 und 5 wurden mit minimaler Differenz entschieden. Dass im Standard die Entscheidungen wieder offen sind, lässt auf weitere spannende Turniere für 2023 schliessen.
Bis zur Weltmeisterschaft 2021 in Brno gewannen Evaldas Sodeika & Ieva Zukauskaite aus Litauen alle GrandSlams und Weltmeisterschaften unangefochten mit jeweils mehreren Punkten Vorsprung auf die Italiener Francesco Galuppo & Debora Pacini. Doch im Mai 2022, an der Europameisterschaft in Bukarest, gelang es Francesco & Debora erstmals einen Tanz, den Tango, zu gewinnen. Im Total betrug der Vorsprung nur noch 0.83 Punkte. Im Juni am Grand Slam in Naron waren Evaldas & Ieva nicht am Start. Francesco & Debora gewannen daher unangefochten mit einen Rekordvorsprung von 12 Punkten auf Thomas & Violetta Fainsil. Eienen Monat später, an den World Games in Birmingham, gewann wiederum das Litauer Paar, jedoch lediglich mit einem Vorsprung von 1.5 Punkten. Mit Sicherheit stärkten der erste Grand Slam Sieg und die geringen Abstände das Selbstvertrauen der Italiener. Doch dann, wiederum einen Monat später, in Stuttgart an der GOC erzielten Evaldas & Ieva völlig überraschend wieder einen Vorsprung von 3.5 Punkte.
War der enge Kampf absehbar?
Bis Juli hätte man vermuten können, dass sogar eine Ablösung des Weltmeister Paares absehbar sein könnte. Doch nach Stuttgart wähnte man eigentich die amtierenden Weltmeister fest im Sattel. Für diese WM in Rimini sprach eigentlich nur der mögliche Heimvorteil und damit vor dem eigenen Publikum zu tanzen für die Italiener…
Auch Evaldas & Ieva ahnten vermutlich, dass es knapp werden könnte. Dieses Mail haben sie bereits in der ersten Runde mit vollem Elan getanzt. In den Turnieren zuvor zeigten sie sich jeweils in den ersten zwei Runden verhalten und tanzten viele einfache Basic-Figuren, diese jedoch wundervoll perfect. Francesco & Debora hingegen tanzten meist bereits ab der ersten Runde mit voller Energie. Francesco überzeugte jeweils auch im grössten Paar-Getümmel mit einer überragenden Floorcraft. Oft haben sich die Italiener auch bewusst neben die Litauer getanzt, um mit ihrer Bewegungsweite und Intensität die Wertungsrichter und Publikum auf ihre Vorzüge aufmerksam zu machen. Für uns Zuschauer ein faszinierendes Spektakel. Doch Evaldas & Ieva hielten sich zurück und trumpften jeweils erst ab dem Semifinale mit ihrem vollen Können auf. Francesco & Debora konnten hingegen jeweils im Finale das hohe Niveau nicht mehr ganz halten.
In diesem Finale kam alles anders als erwartet
Das Finale begann mit dem ersten Solo-Tanz Wiener Walzer. Deborah & Francesco überzeugten sogleich mit hervorragender Musikalität, einer attraktiven Choreografie mit grosser Bewegungsweite und toller Präsentation. Im Bewertungskriterium MM (movement to music) legten sie den Grundstein für ihren Erfolg und erarbeiten sich bereits ein Vorsprung von 0.25 Punkten. Auch das litauische Paar tanzte einen hervorragenden Wiener Walzer, verloren sich aber in kleine, stationäre Links-Rechts-Schwünge. Das bringt zwar sehr viel Aufmerksamkeit, passte aber nicht optimal zur gespielten Musik. Diese forderte eher grosse, raumgreifende Schwünge.
Als die erste Wertung bereits einen Rückstand von 0.259 auswies, zeigte sich Evaldas genervt. Es brachte ihn sichtlich aus dem Konzept.
Im zweiten Tanz, dem English Waltz als Gruppentanz, war die Präsenz und die sonst so überlegenen Gelassenheit bei Evaldas reduziert. Die Italiener trugen jedoch ihre ganze Freude am Tanz und ihrem Publikum nach aussen. Trotzdem gelang den Litauern mit dem Sieg im English Waltz den Rückstand um 0.2 Punkte zu reduzieren.
Im Tango erreichten die beiden Paare fast einen Gleichstand. Nur lediglich 0.034 Punkte konnten Evaldas & Ieva aufholen. Doch im Total trennten sie nach drei Tänzen nur winzige 0.025 Punkte.
Der Slow Fox wurde dann wieder solo getanzt. Und wiederum gelang Francesco & Debora ihre Stärken voll auszuspielen. Erneut erarbeiteten sie sich in den Kriterien MM (movement to music) und CP (choreography and presentation) einen Vorteil von insgesamt 0.291 Punkte. Ihr Vorsprung betrug damit vor dem letzten Tanz 0.316 Punkte.
Der Quick Step, als Gruppe getanzt, musste die Entscheidung bringen! Da bisher Evaldas & Ieva von Francesco & Debora in diesem Tanz noch nie arg bedrängt wurden, konnte man noch immer damit rechnen, dass die Weltmeister ihren Titel verteidigen würden.
Doch Evaldas kam unter Druck, verlor sich wieder in kleinen stationären Swivel-/Twist-Schritten oder wurde von den anderen Paaren in der Ecke eingeklemmt. Je länger der Tanz ging und er mitbekam, dass Francesco die ganze Fläche nutzen konnte, umso mehr reduzierte sich Evaldas Ausstrahlung und Überzeugung. Es gelang Evaldas & Ieva ganz einfach nicht ihre Stärken in diesem Tanz vollumfänglich zu präsentieren. Somit konnten sie nur noch 0.2 Punkte aufholen.
Das endgültige Resultat mit der Schlussabrechnung wurde dem Publikum vor der Siegerehrung nicht gezeigt. Wer mitgerechnet hatte wusste zwar das Resultat bereits, doch die Paare hatten nur eine Ahnung aber keine Gewissheit.
Evaldas diskutierte angeregt und missmutig während dem Warten mit seiner Fan-Basis, die direkt hinter ihm sass. Ieva blieb gewohnt charmant strahlend. Deborah war einfach beglückt von den noch immer lauten Deborah-Rufen aus dem begeisterten Publikum und Francesco stand kreidenbleich und sichtlich geschockt über den möglichen Sieg am Flächenrand.
Die Siegerehrung brachte Gewissheit: Die neuen Weltmeister heissen Francesco Galuppo & Debora Pacini!
Sie gewannen die spannendste Weltmeisterschaft seit vielen Jahren mit einem Vorsprung von 0.118 Punkten.
Stärken genutzt
Es scheint, als hätten Deborah & Francesco ihre Stärken in der Musikalität, Choreographie und Präsentation in den vergangenen Monaten gezielt ausgebaut. Zusammen mit ihrer Tanzfreude, der tollen Ausstrahlung und dem immer attraktiven, edlem Outfit sind sie jederzeit ein Eye-Catcher.
Auch Evaldas & Ieva tanzten erneut hervorragend. Ihre technische Präzision in den Fussstellungen und der Balance überragend. Doch die absolute Überlegenheit konnten sie unter dem Druck des Gegners und dem unerwarteten, frühzeitigen Punkterückstand diesmal nicht auf das Parkett zaubern. Das kann jedoch bereist beim nächsten Turnier wieder ändern.
Wir dürfen gespannt sein auf die weitere Entwicklung dieses Zweikampfes.
Ebenso spannend und noch viel knapper war der Kampf um den 4. und 5. Platz. Das rumänische Paar Cojoc Rares & Matei Andreea setzen sich mit 0.011 Punkten Vorsprung gegen Vadim Shurin & Anastasia Meshkova aus Lettland durch.
Vor ihnen erreichten Tomas Fainsil & Violetta Fainsil unbedrängt den 3. Platz für Deutschland. Das Finale wurde komplettiert von Dariusz Mycka & Madara Freiberga aus Polen.
Keinen Schutz für Titelträger
Für unseren Sport ist die «sportliche Angreifbarkeit» eines amtierenden Weltmeister-Paares ein erfreuliches Zeichen.
Niemand möchte jemals wieder «englische Zeiten» erleben, wo Weltmeister bis zum Rücktritt schlichtweg nicht angreifbar waren. Wo Weltmeister, die zweifellos zu ihren Anfangszeiten überragend und absolut dominierend waren, während 13 aufeinanderfolgend Jahren von den Wertungsrichtern «geschützt» wurden, obwohl längstens mindestens gleichwertige Paare auftanzten.
Eine wichtige Grundlage dazu ist das WDSF „Absolut Judging System“ AJS. Da jeder Wertungsrichter ab dem ¼-Final nur einen Teilbereich der Kriterien bewerten muss, kann ein Paar viel differenzierter bewertet werden. Unterschiedliche Stärken und Schwächen zeigen sich viel klarer in der Wertung. Der Einfluss des einzelnen Wertungsrichter wird damit geringer, wirkt nur in dem Bereich der zugeteilten Wertungskriterien. Dadurch wird der „Schutz“ von Favoriten zwar nicht gänzlich verhindert, aber wenigstens erschwert.
Für die Paare und auch uns Beobachter lässt sich mit diesem System auch ein Trend oder eine persönliche Entwicklung in den Details der einzelnen Bewertungskriterien auslesen. Wenn man zBsp. die Details der Bewertung der letzten 14 Monate von Francesco & Debora ausliest und analysiert, zeigt sich ein klarer positiver Trend in allen Bewertungskriterien, besonders aber in den Bereich MM und CP. Sie verringerten über mehrere Turniere relativ kontinuierlich ihren Rückstand zu Evaldas & Ieva.
Ihr Sieg kann also keinesfalls als «absolut unerwartet» bezeichnet werden. Sie arbeiteten sich, von vielen unbeachtet, erfolgreich an die Spitze.
Das „Absolut Judging System“ AJS ist noch nicht perfekt, noch immer sind Optimierungen in den Details möglich. Aber es ist ein wichtiger Schritt zu mehr Fairness und Transparenz.
Ganz anders sieht es leider aktuell im Classic Judging System aus. Gemäss Schilderungen von mehreren Wertungsrichtern ist die Anzahl der Beeinflussungsversuche durch andere Wertungsrichter, Trainer und Veranstalter, die eigenen Paare bevorzugt zu werten, stark gestiegen. Doch niemand will zum «Whistleblower» werden… Stellen wie Ombudsmann und Wertungsrichter-Kommissionen, an die sich betroffene Wertungsrichter vertraulich und/oder anonym wenden können, fehlen.
Es ist zu hoffen, dass sich der WDSF schnellstmöglich diesem Thema annimmt.
Die Schweizer Paare
Unsere beiden Paare hatten leider mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Das eine Paar seit Tagen, das andere erst in Italien.
Davide Corrodi & Maja Kucharczyk konnten sich direkt in die 2. Runde qualifizieren und erreichten den 30. – 31. Rang. Vova Kasilov & Yulia Dreier gelangten auf den 35. Rang.
Im WDSF 10-Tanz Turnier tanzten sich Davide & Maja erstmals aufs Podest. Sie erreichten den sensationellen 2. Platz!
Die Rangliste
1. | Francesco Galuppo – Debora Pacini | ITA |
2. | Evaldas Sodeika – Ieva Zukauskaite | LTU |
3. | Tomas Fainsil – Violetta Fainsil | GER |
4. | Cojoc Rares – Matei Andreea | ROU |
5. | Vadim Shurin – Anastasia Meshkova | LAT |
6. | Dariusz Mycka – Madara Freiberga | POL |
bb | ||
bb | ||
31.-32. | Davide Corrodi – Maja Kucharczyk | SUI |
35. | Volodymyr Kasilov – Yulia Dreier | SUI |
Viele weitere Bilder auf move-pix